Vor uns liegt eine historische Karte von Hispanien. Der König residiert gerade in Neukastilien und macht von dort aus seinen Einfluß in den Nachbarregionen Sevilla, Granada, Valencia, Aragon und Altkastilien geltend. Ich beherrsche Granada souverän. Mein Grande hat dort ein beachtliches Häufchen von tüchtigen Rittern um sich geschart. Die paar Einwanderer, die El Michael in mein Land schleust, kann ich ebenso lässig ignorieren, wie die Caballeros von El Wolfgang. Womit ich allerdings nicht gerechnet habe sind die Intrigen, die am Hofe des Königs gesponnen werden. Und eh' ich mich dessen recht versehe sind fünf meiner besten Mannen abgängig. Sie dienen mir nach wie vor, doch in Ländereien, in denen meine Kraft gering und mein Einfluß schwach ist.
El Grande ist erst vor wenigen Tagen auf den Markt gekommen (Anm.: El Grande wurde bereits Anfang des Jahres u.a. auf der Spielemesse in Stuttgart vorgestellt). Es ist ein wundervolles, tückisches Strategiespiel vom Altmeister der Spieleerfinderzunft Wolfgang Kramer. Im Spielverlauf wird immer wieder mal in einer Zwischenwertung festgestellt, wer in welcher Region welchen Einfluß geltend macht. Das schiebt auf einem Laufband, das sich um den Plan herumzieht, einen Markierstein vorwärts. Wer am Schluß die Nase vorn hat, also insgesamt der stärkste Powerpolitiker war, gewinnt.
Viel schönes Spielmaterial liegt in der Schachtel. Da sind die Granden und die Caballeros in Form von buntlackierten Holzwürfeln. Eine gewichtige, acht Zentimeter hohe Holzfigur stellt den König dar. Ein mächtiger, stabiler, hoher Turm mit Zinnen und Schießscharten aus Sperrholz, in den im Spielverlauf immer wieder Figuren eingeworfen werden, ist bereits fix und fertig montiert.
Zunächst werden neben dem Spielfeldrand fünf Aktionskarten aufgedeckt, die sich die Spieler in Ruhe ansehen können. Die Karten setzen arglistige Machenschaften in Gang, die die Kräfte auf dem Plan verschieben, lösen eine Sonderwertung aus oder versetzen den König in einen anderen Landstrich. Zudem bestimmen sie, wie viele Caballeros auf den Plan gebracht werden dürfen. Je wirkungsvoller die Karte in das Spielgeschehen eingreift, desto weniger Steine kann man einspielen. Ein echter Entscheidungszwiespalt.
Dann spielt jeder offen eine Machtkarte aus. Es beginnt stets der, der in der vorgehenden Runde die schwächste Karte eingesetzt hatte und deshalb als Letzter am Zug war. Jeder Spieler hat einen Satz dieser Powerkarten, die er im Spielverlauf einsetzt und nicht mehr zurückbekommt. Sie zeigen lückenlos die Werte von 1 bis 13. Zusätzlich tragen sie ein paar Köpfe. Das ist die Zahl an Fußtruppen, die pro Zug aus dem allgemeinen Vorratstopf geholt und im eigenen Vorhof auf Vorrat gehalten werden dürfen. Da wirkt der gleiche Mechanismus wie bei den Aktionskarten. Je schwächer die Karte, desto mehr Krieger bekommt man. Mit den stärkeren, höherwertigen Karten kann man zwar im Spielverlauf die Aktion an sich ziehen. Es fehlt dann aber das Fußvolk, das man dringend braucht, um die Position abzusichern. Ein echter Entscheidungszwiespalt.
Wunderschön gelöst ist das offene Ausspielen dieser Karten. Keiner darf einen Wert einsetzen, der bereits von einem Vorgänger gespielt wurde. Wer zuerst auslegt hat einen klaren Vorteil. Der wird aber rasch wieder aufgezehrt, weil sich die folgenden Spieler an die Vorgabe anpassen können.
Abgesehen von Sonderwertungen, die ein Spieler gerne dann auslöst, wenn er zwischenzeitlich selbst gerade eine besonders starke Position hat, gibt es automatisch eine Wertung nach jedem Spieldrittel. Auch das ist brillant gelöst. Mit einer Geheimscheibe bestimmt jeder Spieler, auf welche Region er die Truppen plaziert, die er so nebenbei im großen Turm angesammelt hat. Das bringt ordentlich Pfeffer ins Spiel, weil sich keiner merken kann, wie viele Caballeros die Mitspieler dort gehortet haben. Sonst sind im Spielverlauf alle Aktionen offen. Nur hier heißt es vermuten, einschätzen, raten. Verwechslungen beim Auszählen sind ausgeschlossen. Vom Rundenzähler zweigt ein Band ab. Da braucht man nur Schritt für Schritt den Bildern und Regionsnamen zu folgen um sicher zu sein, nichts zu uuml;bersehen.
El Grande ist der vergnügliche Fall eines Spiels, bei dem der Kritiker nichts zu mäkeln hat. Bei dem alles rundum paßt. Eine stimmige Geschichte, ein glatter, spannender und origineller Ablauf, eine tadellose, gut verständliche Spielregel, erstklassiges Spielmaterial und eine ansprechende Gestaltung. Nur der Preis ist schmerzhaft; ersteht aber in keinem schiefen Verhältnis zu dem, was man bekommt.
Tom Werneck
"El Grande" von Wolfgang Kramer und Richard Ulrich, Redakteur: Bernd Brunnhofer, Grafik: Doris Matthäus, Verlag Hans-im-Glück, München. Vertrieb durch Blatz-Spiele, Pf 470437, Tel: 030 / 683902-0, Fax: 030 / 6852054, 2 bis 5 Spieler.
Seit dem Erfolg der Siedler von Catan scheuen Verlage weniger das Risiko mit komplexeren Spielsystemen. Ein durchaus mit dem Spiel des Jahres 1995 vergleichbares Spiel hat der Hans im Glück Verlag auf der Spiel '95 in Essen vorgestellt: EL GRANDE, ein strategisches Spiel für zwei bis fünf Spieler ab zehn Jahren, das die Autoren Richard Ulrich und der renomierte Wolfgang Kramer im 15. Jahrhundert in Spanien spielen lassen.
Fünf Volksstämme ringen um die Macht in neun spanischen Provinzen. 30 Caballeros stehen dem Granden jedes Spielers zur Verfügung, geschickt eingesetzt, den Weg zur Macht zu ebnen.
Der Spielablauf in sechs oder neun Spielrunden wirkt anfangs recht kompliziert: Da werden Machtkarten ausgespielt, die die Zugreihenfolge festlegen und die Zahl der Ritter, die man am eigenen Hof zur Verfügung hat. Dann dürfen Aktionskarten ausgewählt werden, die gleichzeitig die Zahl der Ritter bestimmen, die man in die Provinzen einbringen kann, um dort Mehrheiten zu erreichen. Nach jeder zweiten oder dritten Runde gibt es eine Wertung der Mehrheitsverhaltnisse.
Das Spiel ist aber stimmig umgesetzt, Spielplan und Spielmaterial sind fantastisch - das hat allerdings auch seinen Preis -, der Spielmechanismus funktioniert vorzüglich. Dies wird vor allem daran deutlich, das dieses Spiel besonders zu zweit seine taktischen Qualitäten voll entfaltet.
Wolfgang Kramer, schon vielfach ausgezeichneter Autor (Auf Achse, Heimlich & Co.), hat mit EL GRANDE sein Meisterstück abgelegt. Für Liebhaber anspruchsvollerer Brettspiele kann eine uneingeschränkte Kaufempfehlung ausgesprochen werden.
Wieland Herold
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